Mit fremden Federn geschmückt:
Ist der Bügelhelm im »bürgerlichen« Wappen heute noch regelwidrig?

Als Shakespeare – wer das ist, bedarf wohl keiner Erläuterung – ein Wappen verliehen wurde, fanden sich zu der Zeit Kritiker an diesem Gnadenakt. Sie begründeten ihre Kritik mit dem Argument und Hinweis, der neue Wappenträger sei eine unehrenhafte Person, die eines Wappens nicht würdig wäre. So absurd dies heute uns aufgeklärten Menschen erscheint, so natürlich war diese Anschauung zu Shakespeares Zeit und wir sollten uns hüten, unsererseits Kritik an solchen Dingen zur üben, ohne vorher den Zeitgeist zu kennen. Im Übrigen stört sich gerade in diesem England heute niemand mehr, wenn zum Beispiel ein Filmstar oder gar ein Fußballspieler mit allem monarchischen Pomp zum Ritter geschlagen und damit in die Reihen des Adels aufgenommen wird.

 


Wappen Shakespeare

     

Stechhelm

 


Bügelhelm

  Diese kleine Vorgeschichte zum Einstieg und damit zum besseren Verständnis des Problems, das anschließend behandelt werden soll: die Übernahme des »adeligen« Bügelhelms in »bürgerliche« Wappen.

Als seinerzeit der Reformer des Reichs, Kaiser Karl IV., erkannte, dass Reformen nur mit Geld durchzuführen waren, hatte auch das Wappenwesen in seiner freien Entfaltung im Persönlichkeitsbereich das Ende gefunden, zumindest für einen längeren Zeitraum. Wappenführung war nur noch aufgrund obrigkeitlichen Erlasses – gegen Entgelt selbstverständlich – erlaubt. Eine Gelegenheit, oder besser gesagt, die Gelegenheit für den Adel, eine Möglichkeit zu finden, seine Wappen von den bürgerlichen optisch abzugrenzen, nämlich mit dem Privileg, den Bügelhelm zu führen; den Bürgern wurde der (ältere) Stechhelm zugewiesen, ein Umstand, der durch die sogenannte Kanzleiheraldik seit Mitte des 15. Jahrhunderts konsequent praktiziert wurde. Diese Reglementierung wurde dann auch weitgehend beachtet, zumal auch der Bürgerstolz sich mit der Zeit entwickelte. Mit dem Ende des Römischen Reichs jedoch ging diese Ära der Heraldik ebenfalls zu Ende, das Wappenwesen kehrte zu seinem Ursprung zurück und wurde wieder frei. Jeder konnte nunmehr ein Wappen durch Eigenannahme führen, wie am Anfang des Wappenwesens. Lediglich die adelige Heraldik erfuhr noch eine gewisse Aufsicht durch die Notwendigkeit der Immatrikulation in den einzelnen deutschen Monarchien und Fürstentümern. Wappen an Bürgerliche wurden nur noch vereinzelt verliehen. Gerade unter diesen Voraussetzungen wurde aber auch der Grundstein zu einer Renaissance des Wappenwesens Mitte des 19. Jahrhunderts gelegt. Gleichzeitig wurde zum andern manchem heraldischen Unfug Tür und Tor geöffnet. Otto Titan von Hefner, einer der führenden Heraldiker im 19. Jahrhundert, fühlte sich denn auch bemüßigt, die Heraldiker seiner Zeit zu klassifizieren in:

  • die Heraldiker der alten Schule, die als so etwas wie altertümelnde Schwärmer eingestuft werden konnten,
  • die Dilettanten oder Jockey-Club-Heraldiker; diese Bezeichnung bedarf sicherlich keiner Erläuterung,
  • die Herolde, verknöcherte Beamte, die von Heraldik nicht viel Ahnung haben, jedoch schon viel darüber hörten und dementsprechenden Unfug treiben.

Aber auch die Zeit der Herolde war bald abgelaufen, 1918 endete mit dem Ersten Weltkrieg auch die Monarchie in deutschen Landen. Die Republik wurde ausgerufen, der Adel abgeschafft. Von nun an gibt es vor dem Gesetz keine Adeligen oder Bürgerlichen mehr, sondern nur noch Bürger.

In der Heraldik jedoch existiert weiterhin das Feudalprinzip (!), denn viele »Heraldiker« (siehe dazu Hefner) unserer Tage sind der festen Meinung, dass der Bügelhelm weiterhin ausschließlich in Adelswappen geführt werden soll und der Stechhelm in bürgerlichen Wappen. Das heißt auf gut Deutsch, das Kastenwesen existiert noch in der Heraldik, denn nach dieser Diktion haben wir in unserer hart erkämpften Republik mit ihren demokratischen Grundrechten adelige und nichtadelige Bürger.

Wir sind der Meinung, dass endlich Gleichheit auch in das Wappenwesen Eingang finden sollte. Sinnigerweise ist dies in einer der ältesten und letzten Monarchien, England, schon geschehen. Dort werden Stechhelme von Gentlemen und Esquires längst geführt. Ähnliche Bestrebungen finden wir in der irischen HeraIdik; der Gebrauch des StechheIms in ungarischen oder polnischen Adelswappen ist schon Tradition.

Wir plädieren deshalb dafür, die Frage des Helmes in Wappen nicht von der Standesherkunft abzuleiten, sondern sie in das Gebiet der Wappenkunst zu verweisen. Und Kunst ist bekanntlich ein Bereich des persönlichen Geschmacks. Das Wappenwesen ist frei, also sollte auch jeder die Möglichkeit haben, sich sein Wappen so gestalten zu lassen, wie er es für notwendig erachtet. Unterschiedliche »Bürger« gibt es nicht (mehr). Daran kann und soll die Heraldik auch nicht vorbeigehen. Und nochmals müssen wir auf einen Engländer zurückkommen, Charles Mackinnon of Dunakin, der in seinem Observer's Book of Heraldry schreibt: »Heraldry must survive fashions if it is to survive at all« [Die Heraldik muss Modeerscheinungen überstehen, wenn sie selbst überleben will]. Wir meinen in diesem Sinne, dass Heraldik etwas Lebendiges bleiben solle, und das ist nur möglich, wenn wir uns von überkommenen Vorstellungen Iösen, zumal die Traditionalisten und Verfechter bestimmter Helmformen für bestimmte Wappen gefragt werden müssen: Wann beginnt Tradition eigentlich im Wappenwesen? Mitte des 15. Jahrhunderts durch die Kanzleiheraldik doch wohl bestimmt nicht …

(C. D. Bleisteiner, R. Seifüßl, W. Teichert, in: Bayerischer Herold. Jahrbuch 1981 des Vereins zur Förderung der Heraldik und verwandter Wissenschaften in Bayern und seiner Nachbargebiete e. V. [nachmalig »Der Wappen-Löwe« Heraldischen Gesellschaft e. V.], Eigenverlag, München 1981, S. 3–4)

 

Stand: 22. Oktober 2012